Die Diagnostik von Bindungsmustern ist diffizil. In der Regel wird in diesem Bereich mit projektiven Verfahren operiert, die sich unter anderem aufgrund ihres Deutungscharakters für Diagnostik im schulischen Kontext verbieten. Die Lösung scheinen Fragebogenverfahren zu sein, die im Selbstbericht aber nur selten in Zusammenhang mit den etablierten Verfahren der Bindungsdiagnostik und damit auch mit den von Bowlby postulierten inneren Arbeitsmodellen stehen; sie messen also scheinbar im besten Fall ein Konstrukt, das in Zusammenhang mit Bindung steht, aber nicht Bindung selbst.
Der Grund mag in dem Umstand zu suchen zu sein, dass diese inneren Arbeitsmodelle oft nicht explizit zugänglich sind und deshalb auch nicht im Kontext von Bindungsfragebögen reflektiert werden können. Um ein Beispiel zu nennen: Sowohl sichere Personen, als auch unsicher-vermeidende Personen können liebevolle Beziehung zu den Eltern beschreiben. In bindungsdiagnostischen Interviews, wie beispielsweise dem Adult Attachment Interview, sind vermeidende Personen aber kaum in der Lage dafür Belege zu liefern.
Um der eingeschränkten Fähigkeit zur Introspektion und auch Faktoren wie sozial erwünschten Antworttendenzen zu entgehen, wurde mit dem BinLe ein Fremdberichtsmaß zur Einschätzung bindungsrelevanter Verhaltensweisen aus Lehrkraftsicht entwickelt. Wenngleich sich dieser nicht als Bindungsdiagnostikum begreift, finden sich in erster Evaluation theoriekongruente Unterschiede zwischen sicheren und unsicher-vermeidenden Schüler*innen im Grundschulalter. Zudem zeichnen sich erste Profile ab, die theoretisch gut zu begründen sind.